Mehr Fortschritt wagen. Oder: Wie die Quadratur des Kreises gelingen soll.
von Dr. Christine Rudolf
Eine der ersten Amtshandlungen des neu ernannten Finanzministers Christian Linder (FDP) war der Entwurf des zweiten Nachtragshaushaltes für das Jahr 2021. Damit will die Bundesregierung eine Umschichtung von Mitteln aus der Kreditaufnahme zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie für Gesellschaft und Wirtschaft zugunsten des Klimaschutzes und der Digitalisierung vornehmen.
Haushaltsmittel in Höhe von 60 Milliarden Euro, die aus nicht benötigten Kreditermächtigungen stammen, werden in einen Fond einbezahlt. Dieser Fond soll dann in den nächsten Jahren die «notwendige Transformation» zu einer «klimaneutralen Volkswirtschaft» entscheidend voranbringen, so die Pressemitteilung des Finanzministeriums vom 13.12.2021.1Pressemitteilung des Bundesfinanzministeriums: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2021/12/2021-12-13-zweiter-nachtragshaushalt-2021.html (14.12.2021) Fassungsbedenken von Seiten des Präsidenten des Bundesrechnungshofs Kay Scheller, sind bereits angemeldet.2Finanznachrichten: Bundesrechnungshof kritisiert Haushaltspläne der Ampel. https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2021-11/54592017-bundesrechnungshof-kritisiert-haushaltsplaene-der-ampel-003.htm (14.12.2021)
Die Ausstellung eines Haushaltes beinhaltete schon immer Elemente der kreativen Buchführung. Insider*innen wissen um die Wirkung von Haushaltsvermerken wie gegenseitige Deckungsfähigkeit von Haushaltstiteln oder Verpflichtungsermächtigungen. Nun bedient sich die Bundesregierung eines Tricks, indem sie Geld, das sie wegen der Schuldenbremse in den nächsten Jahren nicht aufnehmen darf, vorab aus dem Haushalt in einen Fond ausgliedert. Denn die Schuldenbremse, die in Deutschland am 1. Januar 2011 in das Grundgesetz, Artikel 109, eingeführt wurde, begrenzt die Nettoschuldenaufnahme des Bundes ab 2016 auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandes und verbietet den Bundesländern ab dem Jahr 2020 eine Neuverschuldung sogar gänzlich. In der Corona-Pandemie wurde sie ausgesetzt. Nun verführt sie zu neuen Stilblüten. Denn die Notlage von nationaler Tragweite hat die Aufnahme von Schulden ausnahmsweise erlaubt. Und sowohl Bund als auch Länder haben beherzt zugegriffen. Sie haben sich Kreditermächtigungen gestattet, die nicht ausgegeben wurden. So sind denn auch die geplanten Ausgaben von Bund und Ländern, die zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie eingestellt wurden, nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.
Unterdessen bröckelt Deutschlands Infrastruktur nach wie vor fröhlich vor sich hin. Brücken auf wichtigen Verkehrsverbindungsadern und Strassen, die über Nacht gesperrt werden müssen, weil sie drohen einzustürzen. Die Deutsche Bahn wurde über viele Jahre kaputtgespart, um sie auf den Börsengang vorzubereiten.3Nefzger, Emil: Auf dem Abstellgleis. In: Der Spiegel: https://www.spiegel.de/auto/deutsche-bahn-deutschland-investiert-zu-wenig-ins-schienennetz-auf-dem-abstellgleis-a-7d22386d-830e-4f3e-8c22-77777076e5ad (14.12.2021) Die Länder vernachlässigen ihre Planung und den Ausbau der Krankenhauslandschaft4Bundesrechungshof Beratungsbericht Krankhauslandschaft (2020): 3-4 Mrd. Euro fehlen jährlich. https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2020/krankenhaeuser-seit-jahren-unterfinanziert-und-ineffizient (14.12.2021) und beim Thema Digitalisierung nehmen wir einen unrühmlichen Mittelplatz ein im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.5Europäische Kommission: Deutschland im digitalen Vergleich und er EU auf Platz elf: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/deutschland-im-digitalen-vergleich-der-eu-auf-platz-elf-2021-11-12_de (14.12.2021)
So werden nun auf der einen Seite, die Mittel aus der überhöhten Kreditaufnahme der letzten beiden Jahre dazu genutzt, dringend notwendige öffentliche Aufgaben anzuschieben und auf der anderen Seite wird an den Grundsätzen der Schuldenbremse festgehalten.
Das ist in zweifacher Hinsicht ein fataler Weg. Innenpolitisch, weil bereits Im Koalitionsvertrag an vielen Stellen durchaus Hinweise enthalten sind, dass die nun bereit gestellten Mittel angesichts der Grösse der Aufgaben nicht ausreichen werden. Da heisst es dann immer wieder, dass die neue Bundesregierung auf das Instrument der Public Privat Partnership zurückgreifen wird, die so geplanten Vorhaben sollen auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft werden. Als hätten nicht schon die ersten Gehversuche in diese Richtung – siehe Mauteinführung für PKWs auf der Autobahn – gezeigt, dass dies ein sicheres Mittel darstellt, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu vergesellschaften.6Balser, Markus: Rechnungshof wirft Scheuer Rechtsverstöße vor. In: Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pkw-maut-bundesrechnungshof-scheuer-1.4686615 (14.12.2021)
Sonst gäbe es für private Investor*innen auch gar keinen Grund, solch eine Kooperation anzustreben, geschweige denn einzugehen.
In der Bundesrepublik wird Marianne Mazzucato zwar als Autorin mehrerer Bücher öffentlich bepreist und gelobt. Ihre inhaltlichen Vorschläge aber geflissentlich übergangen. Sie schreibt, dass der Staat eine wichtige Impulsfunktion in Bezug auf technische, medizinische und gesellschaftlich relevante Entwicklungen hat, wie wir sie gerade jetzt bei der Impfstoffentwicklung wieder gesehen haben. Aufgrund der neoliberal geprägten öffentlichen Diskussion, wird der Staat jedoch eher als Verschwender dargestellt, denn als Impulsgeber. Mazzucato plädiert ausserdem dafür, die Gemeinschaft – sprich die Steuerzahlenden –, an den Profiten aus staatlicher Finanzierung teilhaben zu lassen. Nichts von alledem wird tatsächlich umgesetzt.
Wir werden erleben, wie die private Wirtschaft sich die Rosinen dessen, was getan werden soll, herauspickt. Wie die Entwicklung in der Fläche, wie beispielsweise bei der Digitalisierung oder der Bereitstellung einer ausreichenden Infrastruktur des Gesundheitswesens, gewährleistet werden soll, bleibt dabei eine offene Frage.
Aber nicht nur innenpolitisch, auch international, ist dieser Irrweg fatal, wenn die Bundesregierung auf der Schuldenbremse beharrt und sich damit als Wiedergeburt der «schwäbischen Hausfrau» verkauft, die es in Wirklichkeit so nie gab. Denn jede Person, die einen privaten Haushalt führt, muss zwar mit dem Geld auskommen, das der Haushalt zur Verfügung hat; das ist im schwäbischen nicht anders wie im Rest der Welt – gilt aber nicht für einen Staatshaushalt. Einen privaten Haushalt mit einem öffentlichen gleichzusetzen ist schlichtweg falsch.7Kelton, Stephanie (2020): The Deficit Myth. Modern Monetary Theory and How to Build a Better Economy. New York, John Murray (Publishers), S. 114f.
Deutschland wird sich selbst wieder als leuchtendes Vorbild der sparsamen Haushaltsführung darstellen und in der Europäischen Union für die Wiedereinsetzung der Maastrichter Kriterien plädieren. Diese können von vielen europäischen Staaten nach der Pandemie gar nicht eingehalten werden, verpflichten aber zu einer jährlichen Reduzierung der Schulden um 20 Prozent, sobald die Verschuldungsgrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes überschritten ist. Angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen durch eine Pandemie und deren Auswirkungen auf die materielle Situation der ärmeren Bevölkerung in allen europäischen Ländern wird dies zu einer Verschärfung von sozialen Konflikten führen. Die inzwischen oft gewalttätigen Demonstrationen gegen Corona- Bestimmungen und -Massnahmen schon jetzt Ausdruck dieses Konfliktes.
Die Aufgaben, vor denen Regierungen in aller Welt stehen, sind tatsächlich immens. Die Verwüstungen, die der neoliberale Feldzug in Bezug auf die Aushöhlung der Staatshaushalte angerichtet hat, sind enorm. Die Schere zwischen Arm und Reich ist überall dort weiter auseinander gegangen, wo Erfüllungsgehilfen zur Stelle waren. Und auch international sind alle Bemühungen zur Armutsbekämpfung, spätestens durch die Egoismen der vergangen beiden Jahre, obsolet.
Wünschenswert wäre, dass die neue Regierungs-Koalition und ihr Koalitionsvertrag eine klare Auskunft darüber geben, welche politischen Ziele bis wann erreicht werden sollen und wieviel das kostet. Dann müsste der Finanzierungsbedarf offengelegt und seine Bedingungen öffentlich diskutiert werden. Aktuell bleibt die neue Regierung hingegen in Ankündigungen stecken, wird alsbald mit einer Normenkontrollklage durch die Opposition konfrontiert sein, und gar nichts gelöst haben. Wenn wir nicht, wie international inzwischen üblich, endlich von unseren alten Zöpfen der Geldbeschaffung von öffentlichen Haushalten ablassen und ehrlich über die Grenzen und Möglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Schuldenpolitik reden, wird Europa – und mit ihm auch Deutschland – die Zukunftsaufgaben unserer Zeit nicht lösen können.
- 1Pressemitteilung des Bundesfinanzministeriums: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2021/12/2021-12-13-zweiter-nachtragshaushalt-2021.html (14.12.2021)
- 2Finanznachrichten: Bundesrechnungshof kritisiert Haushaltspläne der Ampel. https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2021-11/54592017-bundesrechnungshof-kritisiert-haushaltsplaene-der-ampel-003.htm (14.12.2021)
- 3Nefzger, Emil: Auf dem Abstellgleis. In: Der Spiegel: https://www.spiegel.de/auto/deutsche-bahn-deutschland-investiert-zu-wenig-ins-schienennetz-auf-dem-abstellgleis-a-7d22386d-830e-4f3e-8c22-77777076e5ad (14.12.2021)
- 4Bundesrechungshof Beratungsbericht Krankhauslandschaft (2020): 3-4 Mrd. Euro fehlen jährlich. https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/beratungsberichte/2020/krankenhaeuser-seit-jahren-unterfinanziert-und-ineffizient (14.12.2021)
- 5Europäische Kommission: Deutschland im digitalen Vergleich und er EU auf Platz elf: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/deutschland-im-digitalen-vergleich-der-eu-auf-platz-elf-2021-11-12_de (14.12.2021)
- 6Balser, Markus: Rechnungshof wirft Scheuer Rechtsverstöße vor. In: Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pkw-maut-bundesrechnungshof-scheuer-1.4686615 (14.12.2021)
- 7Kelton, Stephanie (2020): The Deficit Myth. Modern Monetary Theory and How to Build a Better Economy. New York, John Murray (Publishers), S. 114f.