Unsere Nationalbank – unsere Gewinne
von Mascha Madörin
Am 11. Februar 2022 hat die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) die Initiative «Nationalbankgewinne für eine starke AHV» beschlossen: «Durch ausserordentlich hohe Gewinne und Negativzinsen ist das Ausschüttungspotenzial der SNB stark gestiegen. Dieses Geld gehört der Bevölkerung. Von einer Ausschüttung an die AHV profitieren alle. Mit dieser Initiative zeigt der SGB eine Alternative zu den Frontalangriffen des Parlaments auf die Renten.»1SBG, Pressemitteilung vom 11.2.2022: Nationalbankgewinne für eine starke AHV. https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-fuer-eine-starke-ahv (14.03.2022) Die Initiative soll im Frühling lanciert werden.
An der Samstagsrundschau vom 12. Februar2Samstagsrundschau vom 12.02.22: SGB-Präsident Maillard: Geldspritze statt Reform für die AHV. https://www.srf.ch/audio/samstagsrundschau/sgb-praesident-maillard-geldspritze-statt-reform-fuer-die-ahv?id=12141461#autoplay (23.03.2022) äusserte sich der SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard detailliert zu diesem Projekt – ein bemerkenswerter Beitrag in dreierlei Hinsicht:
- Gegen den Schluss des Interviews zitierte Maillard seine Lebenspartnerin (!): «Wenn Ihr die Lohngleichheit endlich gesichert habt und die Lösung für Kinderbetreuung besser läuft, dann können wir über eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen diskutieren.» (Wortlaut sinngemäss) Er fügte hinzu, dass viele bürgerliche Frauen das wohl auch so sähen. In diesem Zusammenhang betonte er die grossen unbezahlten Hüte-Dienste der Grosseltern, insbesondere der Frauen, und rechnete den enormen monetären Wert dieser Arbeit vor: wenn dieses Hüte-Arbeitsvolumen um nur 10% gesenkt würde, ginge damit ein montärer Wert verloren, der höher sei als die Einsparungen für die AHV durch die Erhöhung des Frauenrentenalters. Somit würden die Kosten einer Erhöhung des Frauenrentenalters auf junge Familien abgewälzt, so Maillard. Eine für einen Gewerkschafter eher ungewöhnliche Rechnung – aber einleuchtend. Könnte auch aus einem Kurs von Economiefeministe stammen. So schön räsonierte Maillard erst gegen Ende des Interviews. Er antwortete damit auf die letzte Frage, ob der SGB mit der Initiative der AHV nicht einen Bärendienst erweise, weil ja damit das strukturelle Problem nicht verschwinde, dass die AHV auf die Dauer unterfinanziert sei.
- Eine massive Unterfinanzierung der AHV werde schon seit Jahren prophezeit und sei bis jetzt nicht so eingetreten. Mit der Baby-Boom-Generation würden zwar finanzielle Probleme entstehen, diese seien aber lösbar. Und dann gab Maillard den eigentlichen Verhandlungstarif durch: Es gebe ja nicht nur das «strukturelle Problem der AHV-Finanzierung», sondern es sei auch eine Rentensenkung der Pensionskassen geplant, welche die neuen Rentenbezüger*innen betreffe. Die gesamten Renteneinkommen dürfen nicht sinken – und deshalb müsse die AHV gestärkt werden. Die Antwort auf diese fatale Entwicklung einer Finanzierungslücke der Pensionskassen sei eine starke AHV. Auch dieser Punkt entspricht der Analyse und Forderung etlicher feministischer Gruppen.3Vgl. Therese Wüthrich: Faktenblatt Frauen und die Altersvorsorge: Was wir wissen müssen. https://economiefeministe.ch/wp-content/uploads/2022/01/211124_ecofem_Faktenblatt-AHV_DEF.pdf (14.03.2022)
- Es müsse nach guten finanziellen Lösungen gesucht werden und eine solche biete gegenwärtig der 100 Milliarden schwere Ausschüttungsfonds der Schweizer Nationalbank. Anzumerken ist hier, dass frühere, ähnliche – jedoch wesentlich bescheidenere – Vorhaben der Teilfinanzierung der AHV durch Nationalbankengewinne vom Volk abgelehnt worden sind.4Vgl. Daniel Lampart: Nationalbankgewinne in die AHV: Erklärungen zu einer ökonomisch sinnvollen und nötigen Massnahme. In: Daniel Lampart, Blog: https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-in-die-ahv-erklaerungen-zu-einer-oekonomisch-sinnvollen-und-noetigen-massnahme (23.03.2022) Aber damals ist der Ausschüttungsfonds der Nationalbank wesentlich kleiner gewesen.
Die NZZ (12.02.22)5Hansueli Schöchli: Neue Volksinitiative: Nationalbank- Milliarden als Finanzkrücke für die AHV. In: NZZ vom 12.02.2022: https://www.nzz.ch/wirtschaft/ahv-nationalbank-milliarden-als-finanzkruecke-ld.1669337 (23.03.2022) schrieb erbost von «Milliarden-Krücken für die AHV» und über das «Hobby» der sozialpolitisch engagierten Linken, «Notenbank-Milliarden (…) am regulären Budgetprozess vorbeizuschleusen». Diese 100 Milliarden im Ausschüttungsfonds sind jedoch, wie es Maillard in der Samstagsrundschau sagte: «die Kasse des Volkes». Über die Verteilung der Ausschüttung kann entsprechend letztlich auch das Volk bestimmen.
Der SGB hat sich laut Medienmitteilung «für einen Initiativtext entschieden, der die Unabhängigkeit der Geldpolitik der Nationalbank weiterhin garantiert. Die Initiative verlangt lediglich eine Anpassung der Verteilung der Ausschüttungen. Sie zielt weder auf eine grundsätzliche Neuregelung der Ausschüttungen ab, noch schränkt sie die SNB bei ihren Anlagen ein, um beispielsweise eine gewisse Rendite zu erwirtschaften.» Möglich wären gegenwärtig zusätzlich zu den jährlichen Ausschüttungen an Bund (2 Mrd.) und Kantone (4 Mrd.) Ausschüttungen von zwischen 2-4 Mrd. Franken an die AHV.6Vgl. für Genaueres dazu Daniel Lampart: Nationalbankgewinne in die AHV: Erklärungen zu einer ökonomisch sinnvollen und nötigen Massnahme. In: Daniel Lampart, Blog: https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-in-die-ahv-erklaerungen-zu-einer-oekonomisch-sinnvollen-und-noetigen-massnahme (23.03.2022)
Es ist also eine – aus feministischer Sicht – sehr erfreuliche Initiative. Erfreulich nicht nur, weil es (auch) darum geht, eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen zu verhindern, sondern auch darum, gangbare Perspektiven für die Finanzierung der AHV zu formulieren. Es ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht nur ökonomisch gesehen die beste Variante, sondern auch politisch. Denn eine Umsetzung ist kurzfristig möglich, weil der Ausschüttungsfonds für öffentliche Zwecke bestimmt ist und diese Kasse des Volkes gerade wirklich sehr voll ist. Für eine Teilfinanzierung der AHV durch die Nationalbank bis zum Jahr 2030 – dieser Zeitraum steht zur Debatte – gäbe es noch eine weitere Lösung: Postkeynesianische Wirtschaftstheoretiker*innen vertreten nämlich die Auffassung, dass Nationalbanken für sonst schwer finanzierbare Projekte direkt Geld locker machen können, vorausgesetzt, die ausgeschütteten Gelder wirken nicht inflationär.7Vgl. Mirjam Aggeler / Therese Wüthrich: Von Realitäten, Defiziten und Mythen. Keltons Modern Monetary Theory feminstisch gelesen. In: WIDERSPRUCH 77, S. 65. https://economiefeministe.ch/wp-content/uploads/2022/01/Widerspruch_77_Von-Realitaeten-Defiziten-und-Mythen.pdf (14.03.2022) Eine solche Handhabung würde jedoch grundlegende Veränderungen der gesetzlich festgelegten Aufgaben der Nationalbank und eine andere Sicht der Rolle der Nationalbank in Sachen Geld- und Fiskalpolitik voraussetzen – eine Vorstellung, die im Moment sowohl der Mainstreampolitik- wie auch der Mainstreamökonomie sehr fern liegt. Die Verwendung des Ausschüttungsfonds hingegen ist bereits als Gewinnbeteiligung von Bund und Kantonen vorgesehen. Dafür bräuchte es entsprechend weder einen Paradigmenwechsel noch eine neue juristische Grundlage: Beides ist schon gegeben.
Die Entstehungsgeschichte dieser grossen Ausschüttungsreserven zeigt deutlich, dass es über die Gewinne der Nationalbank und die daraus resultierenden Ausschüttungsreserven keine sicheren Voraussagen geben kann: Sie sind entstanden, weil die Nationalbank Anfang 2015 – nach einer Fehleinschätzung über die zukünftige Entwicklung des Euro – den Kurs des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro aufgehoben hat. Wie auch der Gewerkschaftsbund, war ich damals gegen diese Aufhebung, weil ich in ihrer Folge eine starke Aufwertung des Frankens befürchtete, die dem Werkplatz Schweiz, dem Tourismus und dem Detailhandel massiv hätte schaden können. Effektiv gingen in den ersten zwei Folgejahren Zehntausende von Arbeitsplätzen verloren, obwohl die Nationalbank allein schon im ersten Jahr für fast 100 Milliarden Franken Anlagen in ausländischen Währungen tätigte, um damit den Frankenkurs zu drücken. Der Wert dieser im Ausland angelegten Devisen der Nationalbank ist seit 2015 sukzessive gestiegen, obwohl der Frankenkurs nie mehr auf das Niveau von 2015 sank und immer wieder unter Aufwertungsdruck geriet. Die schweizerische Nationalbank gehört damit inzwischen neben der japanischen Zentralbank zu den Banken mit dem grössten Vermögen, wenn wir dieses mit dem Bruttoinlandsprodukt vergleichen. Es liegt nun, Gold inklusive, bei rund 1000 Milliarden Franken.8Vgl. für Genaueres dazu Daniel Lampart: Nationalbankgewinne in die AHV: Erklärungen zu einer ökonomisch sinnvollen und nötigen Massnahme. In: Daniel Lampart, Blog: https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-in-die-ahv-erklaerungen-zu-einer-oekonomisch-sinnvollen-und-noetigen-massnahme (23.03.2022) Vor der Finanzkrise, Ende 2007, lag der Wert der Devisenanlagen noch bei rund 50 Milliarden Franken. Seit Beginn der Ukrainekrieges steigt der Wert des Frankens wieder an, ebenso die Geldanlagen der Nationalbank in ausländischen Währungen.
Kurzum: Der problematische Entscheid der Nationalbank zur Aufhebung des Mindestkurses hatte zumindest einen positiven Effekt, nämlich die gigantische Aufhäufung der Devisenanlagen und den daraus entstehenden Ausschüttungsfonds. Eine wahre Gunst der Stunde! Wir müssen sie nutzen.
- 1SBG, Pressemitteilung vom 11.2.2022: Nationalbankgewinne für eine starke AHV. https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-fuer-eine-starke-ahv (14.03.2022)
- 2Samstagsrundschau vom 12.02.22: SGB-Präsident Maillard: Geldspritze statt Reform für die AHV. https://www.srf.ch/audio/samstagsrundschau/sgb-praesident-maillard-geldspritze-statt-reform-fuer-die-ahv?id=12141461#autoplay (23.03.2022)
- 3Vgl. Therese Wüthrich: Faktenblatt Frauen und die Altersvorsorge: Was wir wissen müssen. https://economiefeministe.ch/wp-content/uploads/2022/01/211124_ecofem_Faktenblatt-AHV_DEF.pdf (14.03.2022)
- 4Vgl. Daniel Lampart: Nationalbankgewinne in die AHV: Erklärungen zu einer ökonomisch sinnvollen und nötigen Massnahme. In: Daniel Lampart, Blog: https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-in-die-ahv-erklaerungen-zu-einer-oekonomisch-sinnvollen-und-noetigen-massnahme (23.03.2022)
- 5Hansueli Schöchli: Neue Volksinitiative: Nationalbank- Milliarden als Finanzkrücke für die AHV. In: NZZ vom 12.02.2022: https://www.nzz.ch/wirtschaft/ahv-nationalbank-milliarden-als-finanzkruecke-ld.1669337 (23.03.2022)
- 6Vgl. für Genaueres dazu Daniel Lampart: Nationalbankgewinne in die AHV: Erklärungen zu einer ökonomisch sinnvollen und nötigen Massnahme. In: Daniel Lampart, Blog: https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-in-die-ahv-erklaerungen-zu-einer-oekonomisch-sinnvollen-und-noetigen-massnahme (23.03.2022)
- 7Vgl. Mirjam Aggeler / Therese Wüthrich: Von Realitäten, Defiziten und Mythen. Keltons Modern Monetary Theory feminstisch gelesen. In: WIDERSPRUCH 77, S. 65. https://economiefeministe.ch/wp-content/uploads/2022/01/Widerspruch_77_Von-Realitaeten-Defiziten-und-Mythen.pdf (14.03.2022)
- 8Vgl. für Genaueres dazu Daniel Lampart: Nationalbankgewinne in die AHV: Erklärungen zu einer ökonomisch sinnvollen und nötigen Massnahme. In: Daniel Lampart, Blog: https://www.sgb.ch/themen/sozialpolitik/detail/nationalbankgewinne-in-die-ahv-erklaerungen-zu-einer-oekonomisch-sinnvollen-und-noetigen-massnahme (23.03.2022)